„Na, die Gretchen-Szene in Goethes Faust, das ist Seite 89 folgende“
Um das Stück, welches unser nächstes sein sollte, den Freunden und Interessenten des theater dreiecks vorstellbar zu machen, fielen solche oder ähnliche Sätze zur Erklärung des Inhalts. Ein Stück, das die Kästchenszene in Goethes Faust immer wieder neu beleuchtete, sollte unser nächstes Projekt werden: Gretchen 89ff von Lutz Hübner. 10 Szenen, komplett unabhängig voneinander funktionierend.
Jede Szene würde eine mögliche Inszenierung der Gretchenszene zeigen, die sich in Goethes Faust auf den Seiten nach der namensgebenden Seite 89 finden ließen. Dabei stehen jeweils ein Regisseur und ein Gretchen auf der Bühne, die die Kästchenszene auf immer neue Weise, völlig verstörend, meist aber verstörend witzig, darbieten sollten. So findet sich unter anderem der Streicher, der die Szene im Grunde genommen ohne Text und Bühnenbild aufführen möchte, die Diva, die dem Regisseur jegliche Entscheidungen über die Umsetzung absprechen will oder der Freudianer, der bei der Gretchenszene vor allem eines in den Vordergrund rücken möchte: Sex. Dabei stellt sich die Frage immer wieder neu, ob das ominöse Kästchen denn nun eine Goldschatulle, eine Zigarrenschachtel oder ein blauer Müllsack sein soll.
Bei den meisten Umsetzungen sind die Mitspieler von den Ansichten des dubiosen Hauptcharakters hierbei recht wenig überzeugt. Die Komödie nimmt ihren Lauf.
So zeigen 10 völlig unterschiedliche Charaktere und ihre jeweiligen Gegenspieler die enorme Vielfalt einer einzelnen Szene auf, die man immer neu, immer anders, interpretieren könnte. Insgesamt stehen dabei sowohl Inhalt der Szene als auch das Zusammenspiel von Regisseur und Schauspieler, den maßgeblichen Persönlichkeiten, die ein Theaterstück erst zu einem guten Theaterstück machen, im Mittelpunkt.
Das, was der Zuschauer auch in unserem Stück sehen kann, eine gelungene Inszenierung oder eben nicht, wird als Thematik selbst auf die Bühne geholt. „Warum ein Stück so wird, wie Sie es erleben und oft auch erleiden müssen, liegt an der seligen oder unseligen Kombination von Regie und Schauspiel, zwei von alters her natürlichen Angstgegnern“, so auch Lutz Hübner im Vorwort zu seinem Stück.
Was unser Zusammenspiel innerhalb der Gruppe anging, konnte man zum Glück nicht von Ängsten zwischen Regie und Schauspielern sprechen. Die Aufteilung der Szenen ermöglichte uns eine entspannte Probe, in der nur zwei Personen gleichzeitig probten, die Requisiten waren aufgrund der Nähe zur Realität relativ einfach zu beschaffen und der Text war zumindest komprimiert und von daher meist gut zu lernen.
Kleinere Pannen waren deshalb natürlich noch lange nicht ausgeschlossen. Was den Text anging, hatten die Schauspielerin und der Requisiteur zunächst noch kleinere Probleme. Anderen sah man an, dass das Rauchen, welches auf der Bühne umgesetzt werden musste, wohl in der Freizeit keine größere Rolle spielte. Eine ungewöhnliche Handhaltung hier, ein kleiner Textaussetzer da und ein ungewollter Sturz eines Schauspielers zum Abgrund des Bühnenrandes hin, konnte vom Publikum auf unserer Bühne im Jugendkulturhaus Cairo beobachtet werden.
Zum Glück nur von einem kurzen Schock nach dem Aufprall verfolgt, konnte das Stück ohne weitere Probleme fortgeführt werden und machte uns allen eine Menge Spaß.
Insgesamt erfreuten wir uns vor allem in der zweiten Spielhälfte an vollen Zuschauerreihen und großem Gelächter, wenn das Tourneepferd Gretchen beispielsweise mit seinem wienerischen Macho-Gehabe in die Flucht trieb. Da wunderte sich dann auch keiner mehr, dass Gretchen den Regisseur am Ende des Stücks mit dem Satz „Bin weder Fräulein, weder schön. Kann ungeleit nach Hause gehen“, abblitzen ließ.
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